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Markus Ehring
Fleischhauerstrasse 41
23552 Lübeck
Germany
 
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Über das Spielen im städtischen Umfeld

Seit mehr als 15 Jahren arbeite ich als play- und public Designer für verschiedene internationale Spielplatz- und Freizeitgerätefirmen. In den achtziger Jahren begann ich bei einer der ältesten deutschen Spielgerätehersteller, die Firma Paidos mit der Entwicklung zeitgemäßer Spielkonzepte. Aus dieser Zusammenarbeit ist eine Serie von Spielpunkten entstanden, die im krassen Gegensatz zu den bis heute üblichen Holzspielanlagen aus Stahl gefertigt wurden und die mit der beschaulichen Wildwest Romantik damaliger Abenteuerspielplätze brachen indem sie sich auf einfache Formen stützten die fern ab von Mikeymaus und Old Shaterhand einfach nur Spaß machten.

Ich habe damals in Zeitschriften, TV Sendungen und Fachmagazinen die Frage gestellt was für Spielabläufe wir implizieren wenn hölzerne Wehrtürme mit Sturmwänden und Pallisaden, Indianerzelten und Martenpfählen auf Spielarealen romantische Kriegsschauplätze des letzten Jahrhundert nachstellen. Damals haben sich einige Firmen, deren Produkte als pädagogisch wertvoll galten, über ihre Gestaltsprache oder sagen wir lieber über ihr nicht hinterfragtes Design erschrocken.

Ich stehe heute hier, um mit Ihnen über Spielen in der Stadt zu sprechen und über Spielplatzkonzepte für das städtische Umfeld.

Wissen Sie, Ich finde das ein bißchen wundersam, denn ich habe offen gesagt kein neues Stadtspielkonzept, von dem ich Ihnen berichten könnte, ich bin auch kein vehementer Verfechter irgendeiner neuen pädagogischen Strömung – erwarten Sie also keinen lehrreichen Vortrag oder so etwas.

Ich habe nichts weiter mitgebracht als mich selbst und den Wunsch, hier und heute dem ein oder anderen von Ihnen zu begegnen.

 

 

Kommen wir zum Thema

Als mich vor einigen Wochen die Veranstalter dieser Tagung fragten, ob hier über Spielen im städtischen Umfeld referieren würde, da hab ich ganz leichtfertig „Ja“ gesagt. Als ich dann begann mich mit dem Thema zu beschäftigen, wurde mir mehr und mehr der duale Charakter dieses Themas klar. Den aber hatte ich bis dahin noch nicht hinterfragt. Es geht um das Spielen in der Stadt im Gegensatz zum Spielen auf dem Land. Und um das etwas klarer zu differenzieren, was wir uns unter Stadt und Land vorstellen, bitte zwei Personen aus dem Publikum hier zu mir nach vorn.

Also lassen Sie uns mit der Arbeit beginnen

 

Ein Spiel mit Assoziationen

Ich bitte zwei Leute uns ihre Assoziationen zu dem Wort Land und Stadt zu nennen

Stadt     und   Land

Beispiel

grauer Beton – grüne Wiesen

Parkplätze und Blumenbeete

 

 

Lassen Sie uns zur zweiten Runde kommen

vergeben Sie bitte Attribute, die die Eigenschaften eines Städters bzw. die Eigenschaften eines Dorfbewohners beschreiben.

etc.

Lassen Sie uns einmal untersuchen, ob diese Bilder und Wertungen, mit denen wir unsere Wirklichkeit beschreiben, mit der Realität übereinstimmen.

 

Ist die Provinz heute noch provinziell ?

Ich bin vor einigen Wochen mit meiner Familie zum Wandern auf einen Waldparkplatz in der Nähe des Dorfes gefahren, in dem wir zusammen wohnen. Als wir nach etwa 2 1/2 Stunden zu unserem Auto zurückkehrten, da hatten wir ein Strafzettel an der Windschutzscheibe kleben. Wir hatten die hinterm Busch lauernde Parkuhr in diesem Idyl weder vermutet noch gesehen. Das hat uns etwa 30 DM gekostet und mir die Einsicht gegeschenkt, daß die Provinz sich heute gern städtisch gibt.

 

Was bedeutet provinziell angesichts von Kindern, die von tiefster Provinz aus, via Internet gleichzeitig mit 20 und mehr Mitspielern aus mehreren Kontinenten spielen.

 

Was bedeutet städtisch angesicht der tagsüber verwaisten Stadtrandsiedlungen.

Ist der Geschäftsmann, der das Bild unserer Städte prägt, wirklich so kühl und kalt und ist der Ökobauer wirklich der sensiblere Zeitgenosse ?

Also ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie ich mich als kleines Kind fühlte, als ich feststellen mußte, daß unser netter Nachbar die Ziegen nicht nur streichelte, sondern auch einmal die Woche vier bis fünf von Ihnen schlachtete und Ihnen die Haut abzog. Wie er anscheinend ohne Achtung vor dem Leben Freitags zwanzig und mehr Hühner köpfte und das eine oder andere Suppenhuhn kopflos bis zu unserem Garten flog.

Also mir erscheint der Dorfbewohner trotz seiner räumlichen Nähe zur Nartur und der sicher auch vorhandenen Naturverbundenheit nicht sensibler als ein erfolgreicher Geschäftsmann sagen wir vom Schlag eines Frans Everaerts.

Sicherlich gibt es noch den Archetyp des Dorfbewohners und auch eiskalte Geschäftleute soll es noch geben, aber das sind ganz sicher nicht die Durchschnittsmenschen in der Stadt und auch nicht auf dem Land.

Heute ziehen die Menschen oft um und so wohnen Sie vielleicht wie ich als Kind – 4 Jahre in Köln – um dann 3 Jahre auf dem Land zu leben und 5 Jahre in einer Kleinstadt. Und als ich dann zum Studium wieder auf das Land zog, da hätte ich Ihnen die Frage schon nicht mehr beantworten können, ob ich nun vom Land komme oder ob mich das Leben in der Stadt geprägt hat.

Ich fasse also zusammen – wir können nicht wirklich behaupten, daß unsere Mitmenschen, die auf dem Land leben, tatsächlich etwas zurückgebliebener sind als ihren Artgenossen aus den Städten.

Wenn sich aber die Menschen in den Städten nicht sonderlich von den Menschen auf dem Land unterscheiden, wie soll sich dann das Spielen der Menschen in der Stadt vom Spielverhalten der Dorfbewohner unterscheiden.

Wenn überhaupt, dann kann das nur an den unterschiedlichen Spielmöglichkeiten liegen – oder an den unterschiedlichen Spielplätzen.

Und da die Dorfkinder nicht – wie es zugegebenermaßen viel romantischer wäre – auf Blumenwiesen spielen oder im Wald an Ästen schnitzen, sondern sich zum Spielen meist auf einem Spielplatz treffen, habe ich also recherchiert, wie städtische Spielplätze sich von ländlichen – oder sagen wir, um es noch deutlicher zu machen, von naturnahen Spielplätzen unterscheiden.

Wissen Sie, in Deutschland bestand bis vor 10 Jahren ein Spielplatz in 90% aller Fälle aus 2 Federtieren und einer Bockrutsche. Und weil die Federtiere von Jan Ooms so unverwüstlich sind und bei uns einen legendären Ruf genießen, stehen sie auf jedem zweiten Spielplatz.

Ich war kürzlich auf einer Nordseeinsel und hab dort drei – vier Tage Urlaub gemacht. Und während ich so bei Flut über den schmalen Strand gehe und ahnungslos den Sonnenuntergang genießen will, da winkt mir aus den Fluten wie Käpten Ahab vom Rücken Moby Dicks der Kamm eines Federtiers von Kompan entgegen. Da hab ich mich gefragt, ob ich irgend einen neuen Trend verschlafen habe und die Marktlücke der Unterwasserspielplätze nun doch noch bearbeiten muß.

Was ich damit sagen will – es gibt überall Spielplätze, die mit mehr oder weniger planerischem Geschick und Einfühlungsvermögen unsere Städte und Dörfer zieren.

In der Stadt aber finden wir weit aus häufiger sorgfältig gestaltete Spielplätze bzw. Spielpunkte.

Und das hat wie ich glaube einen ganz pragmatischen Grund –

Städte können sich Platzverschwendung nicht leisten, dafür sind dort Grund und Boden viel zu teuer. Hier müssen auf kleinstem Raum viele Menschen eben auch ihre Freizeit miteinander verbringen. Und so legt man dort notgedrungen mehr Wert auf gute Spielplätze und honoriert das auch dementsprechend. Hier werden Parks aufwendiger gestaltet und gepflegt als auf dem Lande und die verwendeten Materialien und damit auch die Spielgeräte sind oft von wesentlich besserer Qualität.

Das hat sich auch als sinnvoll erwiesen und rechnet sich für die Städte, denn mindere Qualitäten erfordern eine wesentlich aufwendigere Wartung und so ist nach kurzer Zeit das anfangs eingesparte Geld wie Sand zwischen den Fingern zeronnen. Was dann bleibt ist ein immer wieder nachzubesserndes Spielgerät von zweitrangigem Spielvergnügen. Denn den Spielgeräten, die von Nachbauern nur unter dem Aspekt des Preiskampfes gebaut wurden, mangelt es wie ihren Erbauern oft an Phantasie und damit an vielfältigen Spielmöglichkeiten.

 

Und damit sind wir beim zweiten Teil meines Vortrags angelangt,

dem Problem des implizierten Nutzens oder der erkennbaren Absicht, wie ich es einmal nennen möchte.

Könnte ich das jetzt auf flämisch übersetzen, so würde sich dennoch der eine oder andere fragen, was ich wohl damit meine.

Ich möchte dazu auf die Spielsituationen und Spielgeräte kurz eingehen, die die ganze Zeit hier in meinem Rücken per Slideshow präsentiert werden.

Wie sich vielleicht der eine oder andere von Ihnen schon gedacht hat, habe ich diese Spielgeräte entworfen. Als ich vor etwas mehr als 10 Jahren mit der Gestaltung von Spielplatzgeräten anfing, gab es inDeutschland viele sogenannte Abenteuerspielplätze. Das Abenteuer bestand meist aus zwei hölzernen Wehrtürmen, die von hohen Palisaden umgeben waren. In dieser Wildwestromantik fehlte es dann meist auch nicht an kleinen, stilisierten Indianerzelten. Dem Spiel war also eine eindeutige Kulisse geschaffen, und wer hier nicht Indianer sein wollte, der bekam dann trotzdem einen auf die Rübe. Ich hab mich oft gefragt, wo Mädchen denn in der Zwischenzeit spielen und ob Jungen denn immer noch scharf gemacht werden müssen – für den Ernstfall. Ich hab mich gefragt ob Spielen nicht einfach nur Spaß machen darf ohne irgendeinen pädagogisch mehr oder weniger wertvollen Erziehungsauftrag. Und so sind meine ersten Spielgeräte entstanden, die vielen einfach nur Freude gemacht haben, oder wie beispielsweise bei meiner Kuppelrutsche – den ich den Berg nenne – von anderen aber gar nicht als typisches Spielgerät wahrgenommen wurden. Das war am Anfang bei den Knöpfen – einer Serie von kleinen Karussellen – auch so und bei den Granitspielen, die ich gerade neu entwickelt habe, passiert dieser Effekt auch. Es ist von mir gewollt, denn mir ist es offen gesagt ebenso recht, wenn ein Mädchen mit der Regenpfütze spielt, die sich von Zeit zu Zeit auf diesen Steinen sammelt, oder eine Gruppe sie als Wackelsteine nutzt, oder aber ein Spaziergänger sie als Picknicktisch verwendet. Vielleich läßt jemand mal eine Murmel darauf laufen und entdeckt so seinen eigenen Spaß.

 

Wenn ich etwas vorgebe, nehme ich gleichzeitig etwas anderes weg. Und meist nehme ich weit mehr an Möglichkeiten, als ich einem Spielgerät durch eine konkrete Form gebe. Ein Ast kann mir als Geigenbogen dienen, als Flugzeug, oder Angel und wenn ich gerade mal etwas schlechter dabei bin auch als Gewehr. Aber wer fidelt schon mit einer Wasserspritzpistole.

Ich will damit verdeutlichen, daß man auf einem Schaukelpferd nicht zur See fährt und daß sich auf einer federnden Mickymaus nur selten ältere Leute amüsieren. Sobald ich konkret werde, grenze ich alle anderen aus. Das aber schafft Probleme mit denen, die sich ausgegrenzt fühlen. Und da wir sowohl in der Stadt als auch auf dem Land Jugendliche am liebsten ausgrenzen oder in Randzonen abzuschieben versuchen, haben wir ein Problem mit Vandalismus.

Vandalismus ist der Aufschrei derer, die sich nicht gesehen fühlen, nicht geliebt.

Nun haben sich viele Jugendliche oft selbst noch nicht gefunden, was das Gesehenwerden schwieriger macht, – das liegt ganz einfach auch am Alter. Womit ich nicht sagen will, daß man durch bloßes älter werden sich selbst erkennt. Aber Jugendliche suchen noch leidenschaftlicher und spüren die Tragik stärker.

Die rammen sich dann einen Nagel durch die Nase, und provozieren damit Ihre Eltern mit der alles entscheidenden Frage – liebst Du mich auch wenn ich häßlich bin.

Bei diesem Vandalismus am eigenen Körper wird deutlich, daß hier jemand das Problem hat, zu groß geworden zu sei, um noch auf den Arm genommen werden zu können, und daß es letztlich immer schade ist, wenn wir andere ausgrenzen.

 

Jan ich wollte Dich an dieser Stelle einmal auf die Bühne bitten, um mit Dir ein kleines Spiel zu machen.

(Jan sitzt auf einem Stuhl und versucht sein rechtes Bein horizontal und sein linkes Bein zur gleichen Zeit vertikal zu bewegen. Allein diese zwei einfachen Bewegungen werden einen großen Teil seiner Konzentration beanspruchen. Wenn ich ihn jetzt noch bitte synchron zu diesem Bewegungsmuster seinen rechten Arm vertikal und seinen linken horizontal zu bewegen, wird das seine Konzentrationsgrenzen überschreiten.

 

Sehen sie, wenn Jan seinen Körper etwas ungewohnt bewegt, wenn er sich auf verschiedene wenn auch simple Bewegungsabläufe, die gleichzeitig stattfinden sollen,

konzentriert, wenn er sie als mehrere einzelne, voneinander unabhängige Bewegungen versteht und für sich wahrnimmt und diese synchronisieren will, dann hat er mit wachsender Anzahl der Einzelbewegungen ein ziemliches Problem.

 

Wenn Jan aber hier zum Takt der Musik mit einer Dame aus dem Publikum über die Bühne tanzen sollte, und dabei weit komplexere Bein- und Armbewegungen vollführen müßte, so wäre das keine Schwierigkeit für ihn, obwohl er dabei das Gleichgewicht halten müßte und gleichzeitig auf die Kabel am Boden aufpassen müsste. Er würde sicherliche die Aufmerksamkeit aufbringen können, sich zu all dem noch nett zu unterhalten. Wenn er sich in diesem Moment, mitten im Tanz, darüber bewußt würde, wieviele Einzelprozesse er hier gerade managt, so würde er augenblicklich von der Bühne stolpern.

Warum erzähle ich das ?

 

Nun ich wollte Sie bitten, sich einmal zu verdeutlichen, welches Problem wir eigentlich in einer Stadt haben. Hier treffen viele unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen auf einander – mit unterschiedlichen Interessen und mit Bedürfnissen, die in unterschiedlichen Kulturen geboren wurden. Und je analytischer wir das betrachten, um so mehr Individuen entdecken wir und wir fragen uns, wie ist das alles zusammen möglich, wie detailliert können wir das strukturieren, damit das Miteinander klappt und wir nicht den Zorn von Minderheiten auf uns ziehen.

Und wenn wir es uns dann etwas leichter machen wollen, dann denken wir vielleicht wir sollten sie ein bißchen gleicher machen, oder zumindest sollten wir sie in ihren Bedürfnisse und Interessen begrenzen im Sinne des von der Politik definierten Allgemeinwohls. Vielleicht sollten wir den Wohlhabenden etwas mehr wegnehmen als den Ärmeren, den Obdachlosen ein Haus bauen und die Jugendlichen zur Besonnenheit anhalten. Vielleicht sollten wir allen Bauern die Möglichkeit geben, all ihre Erzeugnisse zu jeder Zeit und zu einem festen Preis absetzen zu können.

 

Oder ?

 

Vielleicht sollten wir gerade das nicht tun und den Mittelstand fördern in der Hoffnung, daß so mehr Arbeitsplätze entstehen, den Armen in unserer Gesellschaft sollten wir erklären, daß der Alkohol sie in die Armut geführt hat und daß wir dafür nicht verantwortlich sein können, und jeder seines eigenen Glückes Schmied ist. Vielleicht sollten wir den Jugendlichen abwaschbare Vandalenwände zur Verfügung stellen, auf die sie ihren Zorn sprühen dürfen.

Vielleicht sollten wir alle erstmal einen Antrag ausfüllen.

 

Ich will Ihnen verraten, daß die Probleme in unseren Städten so nicht lösbar sind.

Wir werden scheitern, solange wir es ausschließlich durch Analysen und die Schaffung von Strukturen zu lösen versuchen. Diese, ich nenne sie mal die maskuline Vorgehensweise, die bis heute auch weite Teile der Wissenschaft prägt, hat genau hier ihre Grenze. Sie ist nicht etwa falsch, sie ist nur auf sich allein gestellt unvollkommen.

Wenn wir aber beginnen, unsere Städte, unsere Gesellschaft als lebende Organismen wahrzunehmen, und wir mit etwas Gleichmut sich selbst organisierende, flüchtige Strukturen zulassen, wenn wir aufhören, das Auge in diesem Organismus für wertvoller zu halten als den Fuß und damit beginnen, den Priester ebenso zu achten wie den jugendlichen Vandalen, wenn wir also den erhaltenden Aspekt unserer Gesellschaft nicht mehr dem schöpferischen Aspekt und auch nicht dem zerstörenden vorziehen, wenn wir zu guter letzt beginnen uns in unserer untrennbaren Verbundenheit wahrzunehmen, dann haben wir in unserer Gesellschaft eine Synergie entwickelt aus strukturierender „Männlichkeit“ und jenem raumhaften Aspekt der Weiblichkeit, von dem ich glaube, daß er uns allen schmerzhaft fehlt.

 

Vielleicht werden wir uns dann jenem Tanz hingeben, zu dem wir seit Urzeit aufgefordert sind.